Pflegeversicherung und Sozialstaat in der Reformkrise
Die aktuellen Reformvorschläge aus Teilen der CDU und Bundesregierung suggerieren Effizienz und Generationengerechtigkeit, laufen jedoch auf einen Rückzug des Sozialstaats hinaus: weniger staatliche Verantwortung, mehr Eigenverantwortung – selbst in Lebenslagen, in denen Menschen auf verlässliche Versorgung angewiesen sind. Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) warnt vor einer strukturellen Verengung zulasten Bedürftiger, Angehöriger und Fachkräfte. Seine klare Forderung: Keine Demontage sozialer Sicherung, sondern eine gerechte, kluge und menschenzentrierte Modernisierung.
Pflegeversicherung: Reform ja – aber solidarisch
Die strukturellen Herausforderungen sind bekannt: demografischer Wandel, nicht abgesicherte Leistungsausweitungen, sachfremde Ausgaben, fragmentierte Versorgung und ein Arbeitsmarkt, der den Personalbedarf nicht decken kann. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) diagnostiziert dem bestehenden System der Pflegeversicherung das Fehlen einer zukunftsfähigen Grundlage. In seinem Papier „Reset Pflegeversicherung“ fordert es eine grundlegende Neuausrichtung – mit kommunaler Steuerungsverantwortung, integriertem Pflege- und Teilhaberecht und bedarfsdeckender Finanzierung. Positionen, die mit ähnlicher Diktion auch von der Initiative Pro Pflegereform und dem Deutschen Verein formuliert werden. Der ASB schließt sich diesen Reformideen ausdrücklich an – als Gegenentwurf zu einer rein fiskalisch motivierten Reparaturpolitik, wie sie wieder einmal diskutiert wird.
Zentral bleibt für den ASB die Einführung einer solidarischen Pflegevollversicherung mit realistischer Ausgestaltung: Sie soll pflegebedingte Kosten wie Betreuung und Alltagshilfe abdecken, jedoch nicht Investitionskosten, Unterkunft oder Verpflegung. Diese verbleiben weiterhin bei den Pflegebedürftigen und betragen teils bis zu 1.500 Euro monatlich.
Wie die Kranken- und Rentenversicherung leidet auch die Pflegeversicherung unter strukturellen Finanzierungsproblemen. Doch ideologische Blockaden verhindern einen lösungsorientierten Dialog. Erste notwendige Zwischenschritte wären ein „Sockel-Spitze-Tausch“ zur Deckelung der Eigenanteile, die Übernahme medizinischer Behandlungspflege durch die GKV, ein dauerhafter Steuerzuschuss für versicherungsfremde Leistungen und die Erstattung pandemiebedingter Ausgaben durch den Bund.
Bürokratieabbau: Von der Ankündigung zur Umsetzung
Kaum ein Feld wird häufiger nach Entbürokratisierung gerufen als Pflege und soziale Sicherung. Dennoch sind die Fortschritte ernüchternd. Fachkräfte, Verwaltungen und Hilfesuchende kämpfen weiter mit überkomplexen Verfahren und hohem Dokumentationsaufwand.
Der ASB fordert daher: Weg von der Bedürftigkeitsverwaltung – hin zu einem unterstützenden Sozialstaat! Insbesondere in der Langzeitpflege müssen Berichtspflichten reduziert und Vertrauen statt Misstrauen gestärkt werden. Wer Vertrauen erwartet, muss es auch geben – gegenüber Trägern und Fachkräften sozialer Arbeit.
Fazit: Reform ja – aber mit Haltung
Die Pflegekrise ist menschengemacht – eine Folge politischen Zögerns. Der ASB fordert eine solidarische, strukturell tragfähige Reform der Pflegeversicherung, um gesellschaftlichen Schaden abzuwenden. Was es braucht, sind politische Visionen und ein Sozialstaat, der Partner der Menschen ist – nicht deren Kontrolle. Was es nicht braucht: neue Kommissionen und Gutachten, die Verantwortung verschleppen. Teilhabe und Vertrauen entstehen nicht durch Verwaltungsakte, sondern durch entschlossene und soziale Politik mit Haltung.

ASB-Hauptgeschäftsführer
Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V.