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Interview

Raus aus der Tagesstätte, rein ins Arbeitsleben

Eine ASB-Tagesförderstätte in Bremen geht neue Wege. Ihre Beschäftigten helfen regelmäßig im Fahrradladen oder in der Gärtnerei. Der Leiter der ASB-Tagesförderstätte erklärt im Interview, warum es wichtig ist, dass Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben außerhalb ihrer Sozialeinrichtung teilhaben können.

Heinz Becker, Leiter einer ASB-Tagesförderstätte in Bremen, bei seinem Vortrag „Wir suchen Arbeit-Geber“ bei der ASB-Fachtagung „Zukunft mitgestalten – Veränderungen angehen“ am 17. November 2015 in der Bundesgeschäftsstelle.

Foto: ASB / Astrid Königstein

Heinz Becker leitet eine ASB-Tagesförderstätte für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung in Bremen. Die Tagesförderstätte sucht "Arbeit-Geber" im Bremer Osten, bei denen die Beschäftigten der Tagesförderstätte regelmäßig kleine Aufgaben übernehmen können. Zurzeit kooperiert die Tagesförderstätte erfolgreich mit zehn Unternehmen.

Warum ist es wichtig, dass Menschen mit Behinderung nicht nur in Werkstätten oder Tagesförderstätten arbeiten?

Weil sie ein Recht darauf haben, am Arbeitsleben teilzuhaben, und dieses Recht nicht an die Art und Schwere der Behinderung gebunden ist.

Ist die Beschäftigung in einer Werkstatt oder Tagesstätte für Menschen mit Behinderung nicht auch eine Arbeit?

Das ist aber nicht das Arbeitsleben. Da arbeiten Menschen mit Behinderung mit anderen Menschen mit Behinderung zusammen. Die Menschen ohne Behinderung sind diejenigen, die sagen, was gearbeitet wird. Auf dem ersten Arbeitsmarkt hingegen entstehen Kontakte von Menschen mit Behinderung zu Menschen ohne Behinderung.

Dann ist Ihre Einrichtung, eine Tagesförderstätte des ASB in Bremen, auch nicht optimal, oder?

Nein, sie erfüllt auch nicht die Anforderungen, die es in der UN-Behindertenkonvention zum Thema Arbeit gibt. Sicher braucht man auch Tagesförderstätten. Aber ich wünsche mir, dass Tagesstätten und Tagesförderstätten zu Kompetenzzentren für die Teilhabe am Arbeitsleben für diesen Personenkreis werden.

Wie versuchen Sie diesem Anspruch in Bremen gerecht zu werden?

Wir gehen in die Arbeitswelt und kooperieren mit etwa zehn Unternehmen und Institutionen in verschiedenem Umfang. So verteilen wir einmal im Monat den Gemeindebrief und gehen jeden Tag für einige Stunden in die Friedhofsgärtnerei. Eine unserer Klientinnen arbeitet einmal in der Woche in einem Fahrradgeschäft.

Was müsste passieren, damit mehr Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben teilhaben können?

Natürlich müssen sich die Gesetze verändern. Aber ich kann auch schon jetzt aktiv werden, so wie wir in Bremen. Denn auch die Einrichtungen für Menschen mit Behinderung müssen umdenken. So sollten Mitarbeiter nicht vom Förderbedarf des Betreuten ausgehen. Sie sollten sich besser überlegen, wo man dessen vorhandenen Fähigkeiten in der Gesellschaft einsetzen kann.

Zugleich geht es darum, die Sozialräume der Menschen mit Behinderung zu erweitern, also mit ihnen mehr in ihre Umgebung zu gehen. Die Gesellschaft erlebt dann auch Menschen mit Behinderung nicht als defizitäre Wesen, die sich mit ihren Betreuern ein schönes Leben machen, sondern als Menschen, die eine Dienstleistung erbringen und die im Gemeinwesen auch eine Funktion haben.

Was bedeutet Sozialraumorientierung in der Behindertenhilfe?

Die Idee der Sozialraumorientierung stammt aus der Jugendarbeit. Dort hat man schon länger erkannt, dass es wenig Sinn macht, an den Jugendlichen herumzudoktern. Man muss stattdessen den Sozialraum der Jugendlichen gestalten. Durch die Diskussion über Teilhabe und Inklusion kommt dieser Gedanke langsam auch in der Behindertenhilfe an. Menschen mit Behinderung müssen in anderen sozialen Rollen erfahrbar werden. Und zwar nicht nur als Kunden oder als Betreute, sondern als Menschen, die aktiv eine Rolle spielen.

Was hat sich dadurch für Ihre Kunden und Mitarbeiter geändert?

Unsere Beschäftigten gehen sehr gerne zur Arbeit und wir erleben sie dort auch oft von einer ganz anderen Seite. Bei unseren Mitarbeitern ändert sich das Selbstbild von ihrer Arbeit. Auch bei einigen Mitarbeitern der Unternehmen, mit denen wir kooperieren, verändert sich etwas. Sie legen Berührungsängste ab und binden gerne die Menschen mit Behinderung in ihrem Job ein.

Astrid Königstein